Sommerkonzert 2016

Hommage an Hermann Hesse

Der Müllheimer Kammerchor vertont bei seinem Konzert in der Martinskirche Gedichte / Zyklus für Chor und Klavier. (veröffentlicht am 15.06.2016 in der Badischen Zeitung von Dorothee Philipp)

Ein Ensemble, mit dem man Uraufführungen realisieren kann: Der Müllheimer Kammerchor mit seinem Dirigenten Albrecht Haaf und einem Instrumentalensemble. Foto: Dorothee Philipp


MÜLLHEIM. Ob Hesse die Vertonungen von einigen seiner Gedichte wohl gefallen hätten, fragt der Müllheimer Komponist und Chorleiter Albrecht Haaf bescheiden im Vorwort zu seinem neuen Werk, das im Zentrum des jüngsten Konzerts des Müllheimer Kammerchors stand. "So im Vorüberwehn" hieß das Motto des Abends, das poetische Bild ist dem Hesse-Gedicht "Blauer Schmetterling" entnommen. Das Publikum in der Martinskirche durfte vier Lieder aus diesem Zyklus für Chor und Klavier als Uraufführung hören. Und dem Literaturnobelpreisträger hätten sie sicher auch gefallen.

Mit dem Kammerchor und dem Pianisten Martin Klingler hat Haaf exzellente Partner, die die feinen Nuancen, die Stimmungsumschwünge und die transzendenten Botschaften dieser Poesie hörbar und fühlbar machen. Wie das Glück im "Blauen Schmetterling" winkt und sich volltönend zum strahlenden Dur aufschwingt, wie das Glitzern und Vergehn in magische Ganztonskalen gekleidet ist, wie sich im "Kreuzgang von Santo Stefano" elegante Jazzharmonik einschleicht oder das Wissen um eine Mitte des Lebens in "Ninon" mit kräftigen homophonen Strukturen untermauert wird und die vom Komponisten gesetzte Anweisung "skrupellos emotional" den Chor auf den Flügeln von süffigen Klavier-Arpeggien in himmlische Höhen hinaufträgt – Haaf illustriert mit seiner Musik nicht einfach die Texte, sondern stellt ihnen einen Klangraum zur Verfügung, in dem sie ihre Botschaft entfalten können, gibt Verszeilen durch Wiederholungen Gewicht. Meisterhaft gelungen sind ihm die bekannten "Stufen", die das Klavier mit einem repetierten Ton wie mit Glockenschlägen einleitet und der Chor das Lebensthema des Abschiednehmens und Weiterreisens mit unruhig fortströmenden Synkopen aufnimmt, ohne rührselig zu klingen.

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Und noch in andere Klangwelten entführte das Konzert die Zuhörer. Zunächst in die romantische von Mendelssohn, seiner Schwester Fanny und Brahms, die Goethe-Gedichte vertont haben. Ein Genuss, dem Kammerchor zuzuhören, der für die schwelgerische Naturromantik und die heroischen Gefühle der Goethe-Texte den richtigen Ton fand und diese durch die glasklare Artikulation auch mühelos und ohne Textblatt zu verstehen waren.
In die Zeit des englischen Barock führte ein Kapitel mit Stücken von Purcell, reich instrumentiert mit Harfe, Cello, Orgel und der barocken Langhalslaute Chitarrone. Hier setzten die beiden Solistinnen Angelika Wesener-Schopka und Stefanie Rieber funkelnde Glanzlichter, die diese Musik vom Staub der Jahrhunderte befreiten und beispielsweise bei "Sound of the Trumpet" eine herrliche Imitation des barocken Vorzeigeinstruments vorstellten. In "Ay linda amiga" eines anonymen spanischen Komponisten aus dem 16. Jahrhundert meldeten sich auch die Drehleier und die Renaissanceflöte zu Wort, die enge Verbindung des Kammerchors über seinen Dirigenten zu den Freiburger Spielleyt trägt in solchen Momenten reiche Früchte. Auf die grüne Insel Irland trug einen das Kapitel mit Traditionals und der Ballade von den drei Zigeunern fort, in der eine Prinzessin Reichtum, Prinz und Pferd für die Musik der drei Fahrenden im Stich lässt. Den Erzählton dieser hübschen Tongeschichte, in die der Chor mit bekräftigendem Refrain einstimmte, traf die Solistin Dianne Rübsamen mit ihrem warmen, vibratoreichen Timbre auf den Punkt genau. Und es gab noch mehr zu reisen: Nach der Pause in die Welt der Musik aus Israel mit einem fabelhaft von Eric Whitacre für Chor, Klavier, Solovioline und Schellentrommel vertonten Zyklus nach Gedichten von Hila Plitmann, beides Vertreter der jüngeren Musikergeneration nach 1970.
Und auch Albrecht Haaf hat traditionelle hebräische Lieder neu arrangiert und mit vielerlei instrumentalen Klangschattierungen ausgestattet, wieder ein gelungenes Crossover mit der Spielleyt-Erfahrung. Atemlose Stille herrschte in der Martinskirche, als Martin Klingler und Christiane Stolzenbach "Nigun" für Violine und Klavier von Ernest Bloch anstimmten, ein Stück voller emotionaler Wucht und innerer Zerrissenheit, die da und dort durch überirdisch schöne, anrührende Momente "geheilt" wird. Stolzenbach zeigte hier mit mehrstimmigem Spiel und einem transparenten, von heftiger Leidenschaft bis zu asketischer Schwerelosigkeit reichenden Ton eine virtuose Meisterleistung. Das begeistert applaudierende Publikum wurde dann mit der Zugabe des irischen Segenswunsches, den der Chor mit religiöser Inbrunst, doch ohne übertriebenes Pathos zelebrierte, in den Sommerabend entlassen.

Besetzung des Solistenensembles: Dianne Rübsamen, Angelika Wesener-Schopka und Stephanie Rieber (Sologesang), Christiane Stolzenbach (Violine), Martin Klingler (Klavier), Susanne Ruckwied-Schmitz und Matthias Pohl (Violine), Claudia Weißenfeld (Cello), Bernd Maier (Drehleier, Laute, Dudelsack), Jutta Haaf (Harfe, Percussion), Carsten Timpe (Chitarrone), Albrecht Haaf (Flöten) http://www.albrechthaaf.de